Ein Bekannter überbrachte mir dieses gute Stück mit der Bemerkung "Hat mein Vater vor vielen Jahren gebaut. Jetzt ist er im Pflegeheim." Zum Entsorgen sei es zu schade. Ob ich denn Verwendung dafür hätte. Ich witterte eine Geschichte und nahm mich des guten Stücks an. Die Skala deutete auf einen Eigenbau hin während die Rückwand auf den Typ AEG 127 GWK verwies. Das Geheimnis war schnell gelüftet. Gehäuse und Rückwand gehören zu dem genannten Kleinempfänger, der mit dem DKE 38 schaltungstechnisch nahezu identisch ist. Statt der VCL11 wurde die bessere VEL11 eingesetzt. Dieser Gerätetyp war bei AEG einer der ersten Nachkriegsempfänger. Nach Entfernung der Rückwand bot sich ein ganz anderes Bild.

Die "Innereien" hatten nichts mit dem AEG- Produkt zu tun. Das Chassis ist aus Weißblech (verzinntes Stahlblech) gefertigt. Das Blech stammt von einer großvolumigen Fischbüchse (Einwaagegewicht 4000g). Anbetracht der weiteren Aufbauteile wie Netztrafo und Siebdrossel ist das Blech zu schwach. In der Nachkriegszeit aber sicher ein alternativloses Material. Dieser begeisterte Radiobastler hatte sicher nichts Besseres. Die Röhrenbestückung ist EF12, EL11 und AZ11. Um Brummeinstreuungen zu vermeiden befindet sich die Siebdrossel in einem Blechbecher. Das Radio hat die üblichen Bedienelemente eines Einkreisers. Das sind ein Luftdrehko als Abstimmelement, ein sog. Quetschkondensator zur Rückkopplung, je ein Potentiometer für Lautstärkeregelung und Tonblende und ein keramischer Wellenschalter. Dieser könnte ein Produkt der Firma Hescho sein (später VEB Keramische Werke Hermsdorf).

Nach dem Aufbiegen dieser Schelle zeigte sich die Herkunft des Chassisbleches.
Die Kleinbauteile entstammen der typischen Kramkiste eines Radiobastlers. Die beiden Elkos mit dem Aufdruck Frolyt wurden im Kondensatorenwerk Freiberg gefertigt. Dieser Betrieb nahm 1947 die Fertigung auf, zunächst aber nur mit Papierkondensatoren. Dieses Bauprojekt könnte auf den Anfang der 50er Jahre datiert werden.
Der Aufbau sieht etwas abenteuerlich aus, aber der Erfolg gab dem Erbauer recht. Damit konnten auf den damals gebräuchlichen Wellenlängen die stärkeren Rundfunkstationen gehört werden. Mit einer entsprechenden Langdrahtantenne auch entferntere Stationen.  Das Chassis mit seinen großen Aufbauten füllt das Gehäuse voll aus, so dass kein Platz mehr für einen Lautsprecher vorhanden ist. An die Lautsprecherbuchsen muß ein Lautsprecher mit einem Anpassungsübertrager angeschlossen werden.
Erstaunlich gut hat das vom Erbauer gezeichnete Schaltbild die Jahrzehnte überdauert. Das Schaltbild wurde zuerst mit Bleistift gezeichnet. Beim Bau wurde dann jede realisierte Verbindung mit einem Rotstift nachgezeichnet. Eine Methode, die sich heute noch beispielsweise beim Entwurf einer Leiterplatte bewährt.Dieses Eigenbauradio verkörpert ein Stück Zeitgeschichte im Nachkriegsdeutschland. Radiobasteln war zu der Zeit noch ein großes Abenteuer. Die Geburtsstunde des Rundfunks lag gerade mal 27 Jahre zurück. Da die meisten Familien knapp bei Kasse gewesen sein dürften, war so ein Radioeigenbau sicherlich willkommen.Die Wiederbelebung dieses Oldtimers erforderte nur geringen Aufwand. Die beiden Kondensatoren auf der Primärseite des Netztrafos und der Kathodenelko an der Lautsprecherröhre EL11 mußten gewechselt werden. Die Audionröhre EF12 hatte kaum noch Emission und mußte ebenfalls gewechselt werden.